The song remains the same…



Anfang der Neunzigerjahre kam schlagartig niemand mehr, der sich hierzulande für Pop oder Independent-Musik interessierte, an JOCHEN DISTELMEYERs Band BLUMFELD vorbei. Die nach einer Erzählung Franz Kafkas benannte Gruppe („Blumfeld, ein älterer Junggeselle“) wurde mit ihren ersten beiden Alben “Ich-Maschine” (1992) und “L’etat et moi” (1994) zum Bezugspunkt einer ganzen Generation an neuen, deutsch-textenden Bands. Die in der Schreibweise von HipHop stehenden, zitathaft-montierten und anspielungsreichen Texte Distelmeyers stellten existentielle Fragen, die mit ungebrochener Ernsthaftigkeit vorgetragen wurden. Sie äußerten eine Art klaustrophobisches, politisches Bewusstsein und forderten entschiedene Parteinahme. Offene Gitarrenakkorde und die auffällige Melodielinienführung des Bassisten Eike Bohlken generierten zudem einen schnell wiedererkennbaren Sound, der live – wie 1995 auch bei uns auf dem PUCH Open Air – durch Gitarren-Feedbacks zu wunderbar ungestümen Indie-Krach anschwoll.

1996 stieg Bassist Eike Bohlken aus. Von diesem Zeitpunkt an spielte die Band über Jahre hinweg in wechselnder Besetzung und Distelmeyer konnte und wollte sich beim Liederschreiben nur noch auf körpereigene, nicht mehr auf die Chemie seiner Band verlassen. Folglich wandte er sich ab dem dritten Album „Old Nobody“, dem Indie-Rock-Muff und der eigenen Gegenkulturposition überdrüssig, mit BLUMFELD zahlreichen anderen Stilen und Positionen der Dissidenz zu. Dabei blieb immer er allein das Tragwerk einer zerklüfteten Soundarchitektur, in die halb ironisch, halb ernst gemeinte “Münchner Freiheit”-Referenzen, angloamerikanischer Mainstream-Pop, ein viel diskutiertes Saxophon-Solo auf “Graue Wolken”, Folk und alte Vorlieben wie Prefab Sprout Zugang fanden. Zum weiterhin antikapitalistischen Klartext gesellten sich auch eine irritierende Nähe zur neuen Bürgerlichkeit und eine zuweilen Dylan-hafte Metaphorik bis hin zur Neoromantik und Naturlyrik auf dem letzten BLUMFELD-Album “Verbotene Früchte”. 2007 löste sich die Band schließlich auf. Ein “17-Jahre-langer Song” war nach Aussage Distelmeyers “zu Ende geschrieben”.

Seit einem Jahr ist JOCHEN DISTELMEYER nun schon für seine zweite Karriere unterwegs. Mit seinem ersten Soloalbum “Heavy” (2009) – fett, tight und zugänglich produziert von Andreas Herbig (u.a. Deichkind, a-ha, Udo Lindenberg) – beansprucht er seinen Platz zwischen Jan Delay, Silbermond und all den anderen Stadtaffen im deutschen Popbiz. Für ehemalige BLUMFELD-Hörer ist darauf allerdings erstaunlich wenig musikalisch oder textlich Überraschendes zu finden. Gründe dafür sind auf der einen Seite die zahlreichen Selbstzitate Distelmeyers, auf der anderen aber auch die immanenten Vorurteile der Hörerschaft. Als sich Ende der Achzigerjahre George Michael – der Verweis auf dieses Role-Model sei nach Distelmeyer-Songs wie “Tausend Tränen tief” erlaubt – nach dem Split des Hit-Duos “Wham!” auf Solopfade begab hieß nach dem Befreiungsschlag des ersten Soloalbums “Faith” das darauf folgende zweite Soloalbum nicht ohne Grund “Listen Without Prejudice – Volume One”.

Der Club 2 präsentiert JOCHEN DISTELMEYER am 17. Oktober im Münchner 59:1. Mit neuer, amtlicher Live-Band wird bestimmt auch der ein oder andere bekannte BLUMFELD-Song gecovert werden. Vielleicht kennt man die Lieder und den netten, älteren Junggesellen aber auch nur aus dem ARD-Frühstücksfernsehen. Wer weiß…?

Jochen Distelmeyer im ARD-Frühstücksfernsehen 
Blumfeld – Verstärker (Musikvideo)