ANIMAL CRAKERS

Animal CrakersDiesen Sommer erscheint die Doppel-CD „Small Loud Songs (1979 – 1991)“, die Anthologie der Münchner Band Animal Crakers. Die Band veröffentlichte von 1987 bis 1991 insgesamt vier Alben und mehrere Singles. Die ersten beiden Alben erschienen auf dem bandeigenen Label Wild Orange und waren bis jetzt nur auf Vinyl erhältlich. Seit 1989 sind sie vergriffen. Die letzten beiden Alben erschienen auf dem renommierten Hamburger Label “Whats so funny about..”, auf dem jetzt auch diese Anthologie erscheint.
„Small Loud Songs (1979 – 1991)“ hat zwei CDs, auf der ersten sind die vergriffenen Vinyl-Veröffentlichungen gesammelt und auf der zweiten CD bisher unveröffentlichte Tapes und Demos. Zusätzlich zu den zwei CDs beinhaltet sie ein 20 seitiges Booklet mit Texten, Photos und Erinnerungen.

Die Hochphase der Animal Crackers fiel in die Zeit der deutschen Einheit und des Umbruchs des Ostblocks. Die Band ist viel in diesen Ländern getourt und hat 1989 unter anderem das Open Air Festival PUCH gegründet. Auf dem diesjährigen Open Air stellt sie „Small Loud Songs (1979 – 1991)“ vor und teilt sich dabei einen Auftritt mit ihrer Nachfolgeband, den Monostars.

small loud song coverAuszug aus dem Booklet:

“Alles was ich halten will wird zu Matsch

Der Riss

Honey Me war ein Album im Umbruch. Einerseits: Wir hatten viele Live Auftritte, waren die Simulation einer Rockband, was nur bedingt funktionierte. Aufgenommen wurde „Honey Me“ deshalb in mindestens sechs verschiedenen Studios, die wir unterwegs gebucht hatten. Andererseits war es eine Rückkehr zu deutschen Texten und der Versuch, die englischen Texte bis zur Karikatur hin zu vereinfachen. Tatsächlich hatte ich recht erkennbare Textzeilen aus Marvel Comics ausgeschnitten und montiert, wiederholt und verändert. Die deutschen Texte dagegen waren anders, suchend, unfertig, unsicher. Mit einer Ausnahme: „Der Riss“. Der Riss war mit Abstand das beste Stück des Albums, vielleicht sogar der beste Song, den die Animal Crakers je geschrieben haben. Es basiert auf „das Blau des Himmels“, 1935 geschrieben von Georges Bataille. Bataille war eine Art Vorkriegs-Michel-Houellebecq, kinky, bürgerlich versoffen, selbstmitleidig und luzid. Der Roman spielt kurz vor Ausbruch des Zweiten Weltkrieges in Paris.

1989 machte das Nachkriegseuropa eine große Rolle rückwärts – und die Animal Crakers tourten mittenhindurch, durch Ostdeutschland, Polen, Ungarn. Zum Beispiel in Budapest im „Schwarzen Loch“. Während wir dort auftraten, liefen die Waschräume langsam über, bis das Wasser in den Toiletten knöchelhoch stand. Darin schliefen Leute. Im Hintergrund lärmte die Band – wir. Und im Schlaf glücklich lächelnde Ungarn trieben an uns vorbei, wie die Walküren in Big Lebowski, unaufhaltsam, Schlepper auf der Donau.

Am nächsten Vormittag saßen wir beim Frühstück irgendwo in der Innenstadt. Plötzlich wurde das Radioprogramm unterbrochen: eine Ansprache, bei der alle Ungarn aufstanden, die Faust aufs Herz legten, ergriffen nach oben sahen. Eine Hymne. Es war Montag, der 29. Oktober 1989. Hunderttausende liefen in ihren Sonntagsanzügen zum Parlamentsgebäude direkt an der Donau. Alle waren auf der Straße, Musik plärrte, wimmerte, triumphierte, stampfte; man wedelte mit ungarischen Fahnen, in die ein Loch hineingestanzt war, oder selbst hineingeschnitten. Kein schwarzes Loch, sondern eins, das an den Volksaufstand von 1956 erinnern sollte. Rot für das Blut, weiß für die Sauberkeit des Landes, so lautet die offizielle Erklärung.

Durch diese Fahnen mit den vielen Löchern schillerte der Himmel – und ich kam mir vor wie der Held am Ende von Batailles Buch. Kinky und unausweichlich, verheddert zwischen Geschichte, einem permanenten Kater und einem sexy Untergang.
Der Abgrund, den „Der Riss“ beschreibt, ist die Zeit, ein Blick auf das Altern, das mit Dreißig nicht mehr theoretisch erscheint. Ein Road-Song quer durch Europa, durch das sich genau so ein Riss zog, wie durch das Gefühlsleben des Erzählers und durch die Band selbst:

Jung zu sein > über diesem Abgrund > der künstlich ist > klafft > sich darstellt > auf bläht > spiegelt> widerspiegelt > es hält den Hals ? > die Nabelschnur ! > was meine leeren Hände ? > well > durch mein Leben > geht ein Riss > das Blau des Himmels > wandelt sich > in das Blau der Seele > in ein flirrendes Netzwerk > aus Nobelschnüren > bis es zerreißt > in einem kleinem Tod > wo immer ich hinkomme > wo immer ich auch war > alles > was ich halten will > wird zu Matsch > Ich will dich > mehr ist da nie gewesen > Ich will dich > dich > dich > mehr ist da noch immer nicht > das Blau des Himmels > wandelt sich > in das Blau der Seele.”